Radio in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts

Wolfram Wessels

Rundfunktechnik und Radio haben Information und Kommunikation von Gesellschaften bereits im 20.Jahrhundert maßgeblich verändert. Sie tun es bis heute. Die Möglichkeit, lebendiges Gespräch, mündliche Rede, Musik und Geräusch, flüchtige Klänge festzuhalten, konservierbar, kopierbar, archivierbar zu machen, war dabei ebenso entscheidend wie die Fähigkeiten Schallereignisse über große Distanzen zu verbreiten. Raum und Zeit erhielten neue Bedeutungen. Um die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zu steuern, war Rundfunk anfangs – in Europa zumindest - ein ausschließlich staatlich lizensiertes Unterfangen, versehen mit einem gesellschaftlichen Auftrag zur Information, Unterhaltung und Bildung. Dabei galt: Es konnte immer nur einer senden und die Vielen empfangen. Jedes Rund hat nur eine Mitte, der Rundfunk nur einen Sendenden. Bert Brecht wollte das schon in den zwanziger Jahren ändern, den Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat verwandeln. Nur gab es den bereits, Telephon genannt. Es ging ihm aber nicht um die Technik, sondern eine durch sie zunehmend geprägte Gesellschft. Ein anderer Satz Brechts sollte sich als folgenreicher erweisen: „Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen.“ Dabei sind die Folgen dieses Satzes bis heute nicht recht bedacht. Inzwischen scheinen die sozialen Medien tatsächlich öffentliche Kommunikation zu erlauben und entfalten ihre Wirkung nicht nur in shitstorms. „Was sollen wir überhaupt senden?“ fragte Helmut Heißenbüttel in einem Hörspiel 1971, Brechts Feststellung  von 1932 aufgreifend, sie schien ihm wichtiger als das "Wie". Ist es nicht trotz aller Kommunikationsmöglichkeiten nicht doch weitgehend bei blosser Distribution geblieben, die allenfalls als Schein-Kommunikation daherkommt? Wenn wir Marshall McLuhan folgen, der bemerkte, dass das Medium selbst die Botschaft sei, können wir feststellen, dass es also zum Gegenstand von Distribution und Konsumption werden konnte, wobei seine Inhalte austauschbar blieben. Die Frage, was wir zu sagen haben, die den Gebrauch der Medien erst rechtfertigt, ist bis heute virulent und muß immer wieder neu beantwortet werden. Aber wer beantwortet sie? Und wie? Information, Unterhaltung und Bildung gelten seit den Anfangsjahren als gesellschaftlich festgeschriebener Auftrag, auch Vermittlung und Schaffung von Kultur gehörte dazu: der Rundfunk nahm Aufgaben eines gesellschaftlichen Mäzens war, der Schriftsteller, Komponisten, Musiker und Schauspieler Einkommensmöglichkeiten bot. Heute konkurrieren öffentlich-rechtliche, private, kommerzielle und freie Radios auf einem schier unübersichtlichen Markt miteinander. Mit der Digitalisierung und dem Internet kommen neue Techniken hinzu und neue Akteure. Schleichend hat sich der ursprünglich gesellschaftlich definierte Auftrag von Radio verändert: Was wird aus dem mäzenatischen Auftrag? Sollen auch bei den Inhalten die ökonomischen Gesetze von Angebot und Nachfrage dominieren? Und was bedeutet die Vervielfachung der Angebote für die Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft? Wenn wir gerade einen erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit  erleben, welchen Anteil hat das Radio daran und welche Folgen hat er im Gegenzug für dieses Medium? Ändert der Medienwandel die Gesellschaft oder reagieren die Medien nur auf gesellschaftliche Veränderungen? Ein Diskurs darüber ist nötig, nicht nur für die anstehenden rundfunkpolitischen Entscheidungen, sondern auch für die Zukunft unserer Gesellschaft und Demokratie. Vor dem Hintergrund eines Präsidenten der via Twitter Politik macht, Parteien, die Journalismus mit PR verwechseln und der permanenten Produktion von Fakenews und alternativen Fakten ist es unabdingbar, die Stellung des Rundfunks in der Gesellschaft neu zu justieren.  
Wir möchten eine grundsätzliche Debatte über dieses Thema anstossen und Soziologen, Philosophen, Ökonomen, Medienwissenschaftler und Medienpraktiker einladen, sich daran zu beteiligen.

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