Das ist in der Türkei genauso wie in anderen Ländern: Musikprogramme haben die meisten Zuhörer. Viele örtliche Musiksender betreiben mit weniger als 10 Angestellten ein “ Programm” 7 Tage die Woche, rund um die Uhr. Da und dort arbeiten Studenten auch umsonst, manche bringen sogar ihre eigene Musik ins Studio. 24 Stunden türkisch-Pop, ohne Wortbeiträge, oft nur unterbrochen von Werbung.
Das aber ist am Bosporus anders als in vielen Ländern: Auf Platz zwei in der Beliebtheit der Zuhörer rangieren die Sender, die sich mit dem islamischen Glauben beschäftigten. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich einige dieser Radiosender – anders als die Musikkanäle - um ein vielfältiges Programm bemühen bemühen. Ganz vorne dabei ist das Diyanet-Radio, wörtlich übersetzt heisst das schlicht “Religions-Radio”. Es ist einer der neuesten Radiokanäle am Bosporus, er ist erst seit Juli 2013 zu hören. Eigentlich ist es der Sender eines Ministeriums in Ankara. Auch das ist in der Türkei anders, auch anders als in anderen Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung: Das Land hat eine staatliche Behörde, die allen Moscheen vorsteht.
Diese Behörde betreibt auch einen Radiosender – und der hat deutlich mehr als 10 Angestellte, denn das Diyanet Radyo sendet ein Programm, dem man anhört, dass dabei mit Geld nicht gespart wird. Es gibt nicht nur regelmäßig ausführliche Nachrichten, täglich wird auch ein Morgenmagazin gesendet mit Beiträgen und Schaltgesprächen und Interviews zu aktuellen Themen des Tages – und nicht nur zu religiösen Fragen. Es gibt eine regelmäßige Rubrik: Was gibt es dort? Da wird die Geschichte eines Denkmals, eines Monumentes oder einer Moschee erzählt oder die besondere Geschichte einer Speise. Für besondere Feiertage aber auch für eine Hochzeit oder Beschneidung gibt es traditionelle Speisen in der Türkei, die ihre eigene Geschichte haben. Jede Woche wird abends eine Service-Sendung, das “Radio-Krankenhaus”, ausgestrahlt, eine Kolumne mit dem Titel “Stimmt das?” wird gesendet über Allerwelts“weisheiten“, außerdem Buchbesprechungen, Interviews mit Künstlern usw. usw.
Und das ist nur das Gerüst für die Sendungen, die sich ausschließlich mit religiösen Fragen befassen. Natürlich gibt es Koran-Lesungen und Geschichten aus dem Leben des Propheten oder die klassisch-modernen Lieder mit religiösen Texten werden unterbrochen mit Hinweisen wie: Geld allein macht nicht glücklich! Bestimmend bei vielen Sendungen ist der Versuch, die Hörer mit einzubeziehen. In die Sendung “Radio-Mikrofon” werden Hörer geschaltet, die ihre Fragen stellen können – und das ist nur ein Programm von etlichen, bei der eine unmittelbare Beteiligung der Hörer erwünscht ist. Außerdem gibt es eine besondere Telefonnummer, eine facebookseite und einen twitter-account und eine Nachrichtenseite im Internet.
Die Fragen sind alles andere als weltfremd. Sind Tatoos unislamisch? (Ja, sind sie, wer welche hat, sollte sie entfernen) Augenbrauen Zupfen? (unislamisch) Ist Gewalt gegen Frauen in der Familie erlaubt? (Nein, das ist eine große Sünde – aber: Frauen die verprügelt wurden, sollten zum Imam gehen und nicht zur Polizei) Dürfen sich Frauen von Männern, die im Gefängnis einsitzen, scheiden lassen? (Ja, aber nur bei langjährigen Haftstrafen) Darf man auch beten, wenn man betrunken ist ( Ja, man darf ) Ist künstliche Befruchtung erlaubt (Nein).
So sanft die Musik zwischen den Beiträgen klingt, so klar und unüberhörbar sind inzwischen die politischen Botschaften in zahlreichen Beiträgen. Da wird in Programmen zur Geschichte die Politik des Osmanisches Reich die Politik der Sultane nie kritisch erwähnt. Das gipfelt auch schon mal in Äußerungen wie: Die Türken seien auf dem Balkan noch heute überall sehr beliebt, denn das Osmanische Reich habe immer eine Politik im Interesse der Völker des Balkans verfolgt. Die erbitterten Befreiungskriege der Völker des Balkan gegen die Besatzungstruppen der Osmanen bleiben natürlich unerwähnt. Oder: Die Aleviten, Mitglieder einer besonderen Glaubensrichtung des Islam, gelten der staatlichen Religionsbehörde nicht einmal als Muslime. Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei verurteilte, weil Ankara die Aleviten benachteilige, war im Diyanetradyosu die Nachricht: Die Meinung der Religionsbehörde sei gewichtiger als das Urteil des Europäischen Gerichts. Und nun, nach dem gescheiterten Putschversuch, ist das Diyanetradio als Sprachrohr der Regierung deutlicher hörbar als je zuvor.
Dabei war die Religionsbehörde Diyanet einst gegründet worden, um die Imame und Moscheenvereine zu kontrollieren, und so sicherzustellen, dass Politik und Religion getrennt bleiben.