Soundkarten. Anders als Sie jetzt denken.

10.02.2015

Wenn es um die Relevanz eines Radiostückes oder Audiopodcasts geht, dann ist der Inhalt bzw. das Thema maßgebend. Auch die im Stück auftauchenden Protagonisten, Experten oder O-Ton-Geber stehen oft ganz oben auf der Relevanzliste. Und natürlich spielt die Zeit und besonders die Frage nach der Aktualität des Inhaltes eine große Rolle. Was dagegen kaum Beachtung erfährt, ist der örtliche Bezug. Schade eigentlich. Denn ortsbezogenes Audio kann unglaublich spannend sein. Ein paar Beispiele.

 

So klingen Metropolen

Eric Eberhardt hat sich der klanglichen Verortung des urbanen Raums verschrieben. Mit seinem “You are listening to”-Projekt erforscht er die Soundidentität internationaler Großstädte, indem er experimentelle Instrumentalmusik mit lokalem Polizeifunk in eine einzigartige Klangkulisse verwandelt. Von Sankt Petersburg bis New York reichen die urbanen Klangwelten, die jeder Stadt eine ganz eigene Soundatmosphäre verleihen.

 

Eine weltweite Klangkarte

Der Berliner Medienkünstler Udo Noll betreibt mit seinem Projekt “Radio Aporee” Klanggeographie. Atmosphärische Aufnahmen eines spezifischen Ortes, so genannte Field Recordings, werden mit einer entsprechenden GPS-Koordinate auf einer digitalen Weltkarte verknüpft. Über 28000 Aufnahmen wurden bereits über 24000 Orten auf allen Kontinenten zugeordnet. Ich habe heute zum Beispiel den Klang von Schmelzwasser in Grönland erkundet, eine auditive Reise zu einem mongolischen Freizeitpark unternommen oder einem Vulkan im Südpazifik zugehört. Nutzer Weltwelt können per Audio-Upload die klangdichte dieser internationalen Soundkarte erhöhen.

 

Ortsbezogenes Radio.

Apps und Dienste wie Audioguideme, Shoudio oder Detour weiten die bisher erwähnten Konzepte auf Hörgeschichten und journalistische Audiobeiträge aus. Die Idee ist simpel und hochspannend. Ein Programm auf dem Smartphone ermittelt dank GPS-Sensor im Telefon die Position des Hörers und bietet Audios an, die am individuellen Standpunkt relevant und verfügbar sind. Wie ein Audioguide im Museum. Die Idee hinter solchen Diensten ermöglicht hyperlokales Radio. Reportagen, Beiträge mit lokalem Bezug oder historische, zum Ort passende Aufnahmen.

 

Ungehobene Schätze der öffentlich-rechtlichen Radiosender

In den Mediatheken und auf den Webseiten vieler Radiosender verblassen die Inhalte leider viel zu schnell. Beiträge, die an einem konkreten Ort relevant wären, versinken nach wenigen Tagen im Archiv und bleiben dort meist verborgen. Audiobeiträge werden nicht mit entsprechenden GPS-Koordinaten verortet, obwohl der Mehraufwand eigentlich ist. Allerdings müssten dafür Produktionsstrukturen verändert bzw. angepasst werden, was mühselig sein kann. Damit wird Potenzial verschenkt. Was möglich wäre, zeigt ein Wochenend-Projekt auf dem kürzlich veranstalteten “Hackday” der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Dort entstand innerhalb weniger Stunden ein Prototyp eines ortsbasierten Players für Radioinhalte, der Beiträge aus den Mediatheken öffentlich-rechtlicher Sender auf einer digitalen Karte anordnet. Würden die offiziellen Smartphones-Apps der Radiosender mit einer ortspezifischen Sortiertfunktion erweitert, würde das dem Radio eine neue, hyperlokale und hörerbezogene Relevanz verleihen. Dafür müssten Audiobeiträge nur vor der Veröffentlichung einmalig in einer Datenbank mit dem Ort des radiophonen Geschehens verknüpft werden. Das macht natürlich nicht bei allen Inhalten Sinn, aber bei vielen.

 

Der Ort als neue Dimension in der Audioproduktion

Wenn man den Ort in die Audioproduktion mit einbezieht, ergeben sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten und Formatideen. Reportagen und Berichte die auf einen bestimmen Ort zugeschnitten sind oder Beiträge, die nur und ausschließlich vor Ort, bei physischer Anwesenheit des Hörers empfangbar werden. Wie wäre es mit einem Hörspiel im urbanen Raum, verknüpft mit einem Stadtspaziergang? Oder ein Bericht über Wildtiere in Deutschland, der in einer Radio-App automatisch hörbar wird, sobald man sich im Wald befindet? Klangkunst im öffentichen Raum, die man nur zu bestimmten Zeiten, an einem bestimmten Ort hören kann, wenn mindestens 100 Personen anwesend sind. Ein Radiofeature zum Thema Einsamkeit, dass nur dann hörbar wird, wenn sich im Umkreis von fünf Kilometern keine Ortschaft befindet. Die an sich einfache Dimension “Ort” könnte mit ein wenig Spielerei und praktischen Funktionen völlig neue Hör-Erfahrungen für das gute alte Radio liefern.

 

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