Steffen Grimberg ist Medienredakteur der TAZ Sechs Uhr Dreißig am Morgen. Halb Deutschland putzt sich die Zähne. Und wer was auf sich hält, hört dabei die „Informationen am Morgen“ beim Deutschlandfunk. Das ist die Sendung, die immer ein paar Sekunden lang zwischen den Wortblöcken kleine Musikstücke anspielt, in denen er sich prima gurgeln lässt. Natürlich setzt das Nachrichtenmagazin für die ganze Republik die Agenda, zumindest die politische. Meinetwegen ist es auch Flaggschiff, doch was heißt dass schon Zeiten, die auch medial durch Piraten und wirschaftliche Krisen immer schwieriger werden. Aber vielleicht rührt ja genau daher die Verlässlichkeit von „Informationen am Morgen“, schon der Titel zeugt von gelebtem Understatement. Und weil so kurz nach dem Aufstehen jede unnötige Aufregung zu vermeiden ist, gibt sich „Informationen am Morgen“ betont sachlich bis hin zur Formalität. So wie es eben auch beim frühstück bitteschöne jeden morgen genau zwei Scheiben Knäckebrot mit Frischkäse zu sein haben, nicht nur eine, oder drei, und auch nicht mit Honig,Wurst oder anderem Belag: Zuverlässigkeit, Gewissheit ist angesagt. In Deutschland, wo Seriösität immer mit der Meinung einhergeht, eine gewisse langeweile sei da leider unvermeidlich, bedeutet das: Nominalstil. Regierungschefs treffen sich deshalb in den „Informationen am Morgen“ nicht bloß, wie das normale Menschen tun würden. Sie treffen zusammen, wie es gerade wieder Merkel und Sarkozy, beinahe jeden Tag. Dann wird ein IT-Gipfel angepriesen, wo die IT-Industrie über ihre tollen Leitungen schwärmen darf und kursorisch die Herbsttagung des Bundeskriminalamts vorgestellt. Auf der, man höre und staune, wohl der Rechtsterrorismus jetzt doch Thema wird, auch wenn er gar nicht im ursprünglich geplanten Programm steht. Doch doch, derlei Unwägbarkeiten und Veränderungen kann „Informationen am Morgen“ schon wechseln. Und ein bisschen ist diese kleine unausgeschlafene Mäkelei auch ungerecht. Denn es tut sich was: Da schneidet ein Korrespondent in einem gebauten Beitrag zum SPD-Parteitag einfach ein paar Sekunden aus der Satiresendung Extra 3 vom NDR darunter. Unerhört so was, da bleibt die Zahnpasta vor Schreck auf der Bürste kleben. Und doch ist es so ungeheuer wohltuend, und plötzlich ist sogar von der „kalten Dusche“ die Rede, die mancher Höhrer genau wie die Eurozone gerade erst hinter – oder vielelicht auch noch vor sich hat: Wo soviel Downgegraded wird wie bei der Euro-Rettung, macht sich Umgangssprache breit. Und weil heute der 6. Dezember und damit Nikolaustag ist, wird die Rating-Agentur Standard & Poors flugs zum Knecht Ruprecht erklärt. Kein Zweifel: Die „Informationen am Morgen“ verändern sich, schon länger ist dieser Trend zu spüren, noch viel bleibt zu tun. Bis man vielleicht irgendwann mal da ist, wo Könige des politischen Aufwachradios seit 25 sind. Wenn James Nauchtie, Evan Davies, Sarah Montegju und erst recht John Humphrys ihre Sprüche klopfen und Politiker grillen, schalten im Vereinigten Königreich wöchtntliche sieben Millionen Hörerinnen und Hörer ein. Die Sendung auf dem Radio Four der BBC hat einen so schlichten Namen wie ihr deutsches Pendant, aber kommt schon dabei ohne den formalen Sound von „Informationen am Morgen aus“. Sie heißt ganz simpel „Today“. Und kommt ganz ohne Musikgeschnipsel aus. Dafür sind immer zwei Moderatoren im Studio, wie es sich für eine gute Morning-Show gehört. Und weil Stimmengewirr eine alte Demokratie wie die britische nicht abschreckt, sondern anregt, sind auch gerne mal gleich zwei Politiker oder Experten zum Interview in der Leitung. Doch was heißt hier Interview: Streitgespräch wäre passender. Vor allem Humphrys gefällt sich als morgendlicher Bulldozer, doch bei „Today“ darf keiner kneifen. Noch weit mehr als die Deutschlandfunk-Informationen bei uns bestimmt das BBC-Programm, wie der Tag politisch weitergeht. Dabei kommt „Today“ ohne das elitäre Geklingel aus, dass im Deutschlandfunk hier und da noch manchmal aufscheint. Middle England ist das Ziel, die politische wie finanzielle Oberschicht darf und muss mithören, aber bestimmt nicht den Ton. Der Inhalt von „Today“, sagt der bei der BBC für die Sendung aktuell verantwortliche Redakteur Cerin Thomas, sei schon so etwas wie die Kronjuwelen des Informationsradios. Aber sie würden eben in einer ganz normalen Supermarkt-Plastiktüte zu den Hörerinnen und Hörern transportiert Der früheren britischen Premierministerin Magaret Thatcher gefiel „Today“ so gut, dass sie angeblich jeden Morgen zuhörte. Und weil es so schwierig war, Termine bei der Chefin zu bekommen, rissen sich ihre Junior-Minister um ein Interview mit den „Today“-Machern – weil sie sich und ihre Anliegen so der eisernen Lady präsentieren konnten. Was da gesagt wurde, gefiel Thatcher nicht immer – zumal „Today“ zu ihrer Zeit als dezidiert links galt. Doch wenn ihr etwas so gar nicht passte, rief sie an, noch während die Sendung lief – und wurde zu ihrem Entsetzen gleich live durchgstellt, geharnischte Fragen des „Today“-Teams inklusive. Spontane Anrufe von Angela Merkel stehen bei den „Informationen am Morgen“ noch aus. Kommt vielleicht ja noch. Nur eine Frage bleibt: Wer entscheidet beim Deutschlandfunk eigentlich darüber, wie lang dieser unverbindliche Warteschleifen-Jazz zwischen den Wortbeiträge gespielt wird?