Unordnung im Notizblock

29.04.2014

Natürlich ist der Notizblock auch bei mir immer mit dabei - vor allem wenn ich weiß, dass ich nur wenig Zeit habe. Für das Interview mit dem Autor und Dokumentarfilmer Hans-Dieter Grabe war nur eine Stunde angesetzt. Sobald das Gespräch lief, legte ich den Block dann doch schnell zur Seite und konzentrierte mich auf meinen Gesprächspartner. Meine Interviewmethode kommt narrativen Interviews aus den Sozialwissenschaften sehr nahe. Ich lasse mich 'treiben', habe keine ausformulierten Fragen, sondern arbeite vor allem mit Themenblöcken oder narrativen Zugängen. Das heißt, in meinem Notizblock stehen nur Themen in einer mir sinnvoll erscheinenden Ordnung, die ich ansprechen möchte und während des Gesprächs hake ich im Geiste ab, was alles angesprochen wurde. Ein Vorteil dieser Methode liegt für mich darin, dass ein Gespräch entsteht und weniger der Eindruck eines Interviews. Außerdem kann ich zwischen den einzelnen Themen hin- und herspringen, je nachdem woran mein Gesprächspartner sich erinnert. Bei dieser Methode besteht aber auch die Gefahr, dass ich manchmal unvorbereitet wirke (vielleicht sogar naiv, was auch hilfreich sein kann). Meine Themenblöcke entwickle ich in zwei Phasen: Phase 1 Recherche: Bevor ich überhaupt loslege, lese ich einige Bücher zum Thema, wühle mich durch Online-Archive, schaue Filme oder höre Sendungen. Daraus ergeben sich allgemeine thematische Blöcke: Geschichte, Sicherheit, Kultur oder Kriegsverletzungen etc. - Themen also, die für alle Interviewpartner relevant sind und worüber ich auch mit den meisten Gesprächspartnern auf die eine oder andere Weise spreche. Am Ende dieser Gespräche habe ich viel, sehr viel Material. Oder positiv formuliert: ich kann wählen. Phase 2 Vorgespräche: Zu diesen allgemeinen Zugängen kommen dann in der Interviewvorbereitung noch spezielle individuelle Fragen. Diese ergeben sich aus den Vorgesprächen mit den Protagonisten, oder etwa wie bei dem Hospitalschiff Helgoland aus den unterschiedlichen Positionen an Bord. Hans-Dieter Grabe hat sich in seinen Dokumentationen wieder und wieder mit dem Krieg auseinandergesetzt. Über die 'Helgoland' hat er zwei Filme gemacht, das Thema Vietnamkrieg hat ihn nicht mehr losgelassen. Diese persönliche Bindung war einer dieser mir wichtigen Zugänge, auch wie er als Beobachter die Situation wahrgenommen hat. Kurz bevor ich dann losfahre, bereite ich die Gespräche noch einmal vor. Gehe meine Themen durch und überlege, welche Themen besonders wichtig sind. Bevor ich in ein Interview gehe, mache ich mir auch klar, welche Beziehungs-Rolle ich in dem Interview einnehmen könnte. Klar: Ich bin Journalist, der Fragen stellt. Aber darüber hinaus bin ich auch: Zuhörer, Sprachrohr, Berichterstatter, Öffentlichkeit, unerfahrener Grünschnabel, Kollege und vieles mehr. Indem ich mir all diese Rollen bewusst mache, sehe ich im Gespräch meine Position klarer. Manchmal entgleitet das Gespräch und mir hat es gelegentlich geholfen, mir diese Rollen ins Gedächtnis zu rufen, um dann auf eine Meta-Ebene zu wechseln. Manchmal hilft es aber auch, schlicht zu sehen, warum ein Gesprächspartner (und ich) agiert wie er agiert. Beispiel: die Oberin ist auch nach ihrer Pension immer noch Oberin, die die Zügel gern in der Hand behält, die O-Töne sind reflektiert, distanziert und sehr diplomatisch und meinen Fragen weicht sie geschickt aus. Ich habe dann versucht, die Distanz abzubauen und uns wieder in die Zeit zu katapultieren. Das braucht vor allem Zeit (und klappt nicht immer beim ersten Mal) - aber das ist ein anderer Beitrag. Auch wenn die Methode ziemlich unstrukturiert wirken kann, weiß ich durchaus, wohin die Reise geht. Den Rest erledigt die Neugier. Fragen, keine Fragen, Struktur, keine Struktur? Wie haltet Ihr es mit Interviews? Ich freue mich über Kommentare.

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