Immerath - Wenn ein Loch die Heimat frisst

Feature von Verena

Dauer: 4:59 Minuten

Audio-Nr: #3347

Inhalt: Immerath liegt am Rande des Braunkohleabbaugebietes Garzweiler II im Rheinland. Also noch liegt es am Rand. Sehr bald wird der Ort Immerath darin verschwinden. Das war vor 20 Jahren schon absehbar – und trotzdem hat Lars sich vor 15 Jahren noch ein hübsches Eigenheim dort gebaut. Denn Lars war felsenfest davon überzeugt, dass der Braunkohleabbau noch rechtzeitig gestoppt würde. Die Überzeugung von damals ist längst den Realitäten gewichen. Als ich Lars vor zwei Jahren in Immerath besucht habe, hatte der Energie-Konzern RWE Power gerade angefangen, am anderen Ende des Ortes die ersten Häuser abzureißen. Doch Lars war immer noch nicht bereit zu gehen. Und das obwohl er inzwischen mit seiner Freundin und ihren zwei Kindern in dem Haus lebte. Damit der Schulbus überhaupt noch vorbei kam, musste Lars eine Eingabe bei der Stadt machen. Zwei Jahre später ist Lars immer noch da. Wieso, wollten wollte ich wissen und bin deshalb nochmal hingefahren. Um herauszufinden, was ist bei Lars seitdem passiert?

Ereignis Ort: Immerath, 41812 Erkelenz, Germany
Skript: Musik 1 zum Einstieg: z.B. Sunadokei, Laetitia Frenod O1, 1995 #00:00:23# Lars: Was seitdem geschah? Die Zerstörung des Dorfes die hat natürlich mit großen Schritten weiter stattgefunden. Wie RWE das formuliert, zurückgebaut. Das ist schon erschreckend. Es ist auch so , dass man sich jetzt hier nicht mehr wohlfühlt. (...) Und es wird allmählich Zeit zu gehen, das merk ich. A1 Schon am Telefon hatte Lars mir zwei große Neuigkeiten erzählt. Die erste: Er geht weg aus Immerath. Eine Woche vor unserem Treffen hat er den Vertrag mit RWE Power unterschrieben, in dem seine Umsiedlung geregelt wird. Er hat das alles alleine verhandelt, ohne einen Anwalt. Ziemlich pragmatisch hat er DAS durchgezogen, was er soviele Jahre hinausgezögert hat – fast bis es nicht mehr anders ging. Und er hat sich für sein neues Zuhause ein Grundstück im neuen, umgesiedelten Dorf gesichert. O2, 1996 #00:01:38-7# Für mich stand das zu Anfang gar nicht zur Debatte, dass ich nach Neu-Immerath gehe. Weil so ein Neubaugebiet, das gefällt mir nicht. (...)Aber damit muss man sich arrangieren, und da bin ich auch sehr optimistisch, weil ich schon merke, dass meine Kinder und Freundin ja da eine große Erwartung reinstecken. #00:02:48# (...)da kannste nicht irgendwie dein egoistisches Ding durchziehen, wat ich vielleicht manchmal auch ein bißchen zu lang gemacht hab. Jetzt musste sagen, der Familie wegen: Okay, jetzt gehts in ne andere Richtung. A2 Der Familie wegen - das ist nämlich die zweite, die wirklich tolle Neuigkeit: Lars ist Vater geworden. Keno ist neun Monate alt. Und mit ihm sind sie jetzt zu fünft. Lars Freundin hatte schon zwei Kinder, als sie zu ihm nach Immerath gezogen ist. Neues Kind, neuer Anfang, denke ich, damit hat die Entscheidung doch sicher auch was zu tun? O3, 1995 #00:11:47-1# Lars: Nee, gar nicht. (...) Das hätte man hier auch realisiert. (...) Und das ist jetzt nicht der Grund für ne Änderung. (...) Man muss sich halt umorientieren, damits einen nicht selbst hier zerfleischt. Man muss jetzt Abschied nehmen, ist so! A3 Das ist halt Lars und seine sehr eigene Sicht der Dinge. Wir sitzen in seinem Garten mit dem Apfelbaum und der Hängematte, der hohe Holzzaun drum herum ist mit Rosen und Efeu bewachsen. /Atmo Garten 2000 Egal wohin ich gucke, von dem toten Ort dahinter krieg ich hier gar nichts mit. Von RWE hat Lars sich im Vertrag zusichern lassen, dass die Bäume drumherum nicht gefällt werden, solange er hier wohnt. Aber wie ist das für ihn, wenn er aus dieser Illusion hinaus in die Wirklichkeit tritt? O4, 1996 #00:11:05#Lars: Ich geh nicht ins Dorf, ich geh nur noch über die Feldwege hier. #00:11:25# Ich geh nicht über die leeren Straßen. Das ist ein ganz komisches Gefühl. Wenn ich jetzt rausgehe, gehe ich über die Felder. Weil das ist halt noch so heile Welt da ne, mehr oder weniger, (...) Ja, vielleicht ist das auch ein Fehler. Mit dieser heilen Welt erhalten, wat man so krampfhaft versucht. (...)da findet die Loslösung ja nicht statt A4 Stimmt, also gehen wir zusammen los und fangen damit an. evt. Musikakzent, Musik 2, „Yesterdays tear“, John Hawksworth O5, 2002 #00:02:51# Verena: Wenn wir jetzt hier bei dir nebenan aus dem Friedhof rausgehen, können wir auf die Kirche gucken, das ging früher nicht. /Lars: Nee, das war alles bebaut. Hier ist die Buschgasse, die ist nicht mehr, nur noch ein paar Trümmer. Man hat hier die Kirchspitze gesehen, aber nicht die komplette Kirche. A5 Wir stehen auf einer riesigen Brache, die früher mal eine Siedlung war. Der Friedhof ist leer, die Toten sind schon vor Jahren umgesiedelt. Von hier aus drehen wir eine Runde durch das abgenagte Dorf. Musikakzent Musik 2 Zurück vor Lars Haus fällt mir auf, dass dort nicht mehr das große Protest-Plakat gegen den Tagebau auf der Garage hängt: „Vertreibung, Vernichtung, Vergessen“ hatte dadrauf gestanden. O6, 1995 #00:06:31# Verena: Dein Engagement sozusagen dagegen hast du schon ein bißchen zurückgefahren oder? // Lars: Mein Engagement dagegen ist halt: Ich war halt hier, oder ich bin ja noch hier. 1997 #00:04:00# Ich war ja auch kein Rebell oder so was. #00:05:18-5# Mir gings für mich für meinen Seelenfrieden. #00:05:34-3# Für mich ist dat nicht nur ein Verbrechen an den Menschen hier, (...) sondern auch ein Verbrechen an der Natur. #00:06:00# (...) es ist halt die Frage, dient das wirklich zum Wohle der Allgemeinheit. Ist die Braunkohle noch so, dass man sagt, Garzweiler II oder komplett der Braunkohleabbau ist der zwingend notwendig. (...) Muss diese Zerstörung...der Natur, der Erde muss das in diesem Rahmen zum heutigen Zeitpunkt sein? A6 Die Frage stellen sich viele. Und immerhin hat die Regierung von Nordrhein-Westfalen Anfang Juli eine neue Leitentscheidung zu Garzweiler II beschlossen. Dadrin steht: Das Abbaugebiet wird verkleinert. Der Nachbarort Holzweiler bleibt nun verschont. Immerath wird trotzdem im Loch verschwinden. Irgendwann bald. Musikakzent... Musik 2 A7 Bis jetzt hat Lars nicht konkret gesagt, wann er denn nun ausziehen muss. Er hat immer nur vom „vereinbarten Zeitpunkt“ geredet. Inzwischen ist auch unser gemeinsamer Freund Oli noch vorbeigekommen – selbst mit dem hat Lars da so genau noch nicht drüber gesprochen. Also nochmal nachhaken: O7, 1999 #00:06:54-3# Verena: Und was ist der Zeitpunkt bei dir? / #00:06:58# Lars: Gute Frage... ich glaube 2018, Herbst 2018. (...) Verena: Also in zwei Jahren. Treffen wir uns in nochmal in zwei Jahren wieder? Lars: Ja, guck mal, dann sind schon sechs Jahre vergangen zum ersten Interview. /Verena: Nee, vier... /Oli: Vier, Lars! Boah kannst du schlecht rechnen! /Alle lachen. (...) Lars: Jetzt sollte ich mir doch überlegen, wie ich verhandelt habe.
Upload Datum: 30.01.2017

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Dokublog Autor Verena

Zum Autor: freie Autorin, Hörfunk- und Online-Journalistin für WDR, KiRaKa und DRadio Wissen

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FeatureImmerath - Wenn ein Loch die Heimat frisst30.01.2017