Die vergessene Flucht

Feature von LukasKick

Dauer: 8:50 Minuten

Audio-Nr: #3466

Inhalt: In diesem Beitrag geht es um die Flucht an der Grenze zwischen Myanmar und Thailand im allgemeinen und um die Auswirkungen für die Betroffenen. Dabei werden einige grundlegende Informationen über den Raum Myanmar und die Situation zur Flucht vor Ort beleuchtet. Der Einstieg wird dabei von Umfragetönen zu der Thematik begleitet. Um auf die psychischen Belastungen der Geflüchteten näher einzugehen ist ein Interview mit der Diplompsychologin Anne Dutz integriert. Der Beitrag soll einen groben Überblick über die Lage zur Flucht in Südostasien bieten und zielt darauf ab Hörer mit wenig Kenntnis über diese Thematik zu informieren und Aufmerksamkeit für diese Situation zu schaffen.

Ereignis Ort: Myanmar (Burma)
Skript: Moderationen – Die vergessene Flucht Flüchtling. Mit diesem Begriff kann in Deutschland fast jeder etwas anfangen. Spätestens seit 2015. Die Bilder von Menschen, die über die Balkanroute oder das offene Meer nach Europa kamen haben sich eingeprägt. Europa sah sich in der Krise und bedrängt durch Fragen über Menschlichkeit, Abschiebung, Angst und Obergrenzen. Dabei ist Europa bei weitem nicht die einzige Region in der Welt, mit einer großen Anzahl an Flüchtenden. In Südostasien ist diese Thematik längst Alltag – im Raum von Myanmar bis zu den Philippinen befinden sich derzeit, laut UN-Flüchtlingskommissariat, rund 2,7 Millionen Menschen auf der Flucht. Immer wieder werden Menschen aus ihren Heimatländern vertrieben, oder ein Überleben unmöglich gemacht. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, Bürgerkriege und die politisch angespannte Lage zwingen die Menschen in Südostasien zur Flucht. Dabei ist ihre Situation deutlich schlechter als die in Europa. Mit Ausnahme von den Philippinen und Kambodscha, hat kein Land in Südostasien die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und meistens auch keine Gesetze zum Umgang mit Flüchtlingen. Manche Länder wie z.B. Thailand leugnen gar die Existenz von Binnenvertriebenen und tun sie als illegale Einwanderer ab. In Deutschland bekommt man davon wenig mit. Hier sind es andere Länder, die mit Flucht und Vertreibung in Verbindung gebracht werden. Umfrage 1: Vielleicht Italien und Nordafrika. Es fällt mir sofort Griechenland ein, eigentlich. Eritrea und Syrien. Syrien, Libyen so das Eck. Mit der Flüchtlingskrise verbinde ich Deutschland natürlich. Über den südostasiatischen Raum hingegen ist sehr wenig Bekannt. Umfrage 2: Nichts wenn ich ehrlich bin. Gar nichts. Ich glaube relativ wenig. Wenig, also ganz ganz wenig. Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Nein, das hab‘ ich nicht gehört. Nichts. Besonders das Land Myanmar ist betroffen. Seit der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht im Jahr 1948 gibt es Unruhen und bewaffnete Auseinandersetzungen. Doch sind weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle der Regierung. Die Konsequenzen muss meist die einfache Bevölkerung tragen. Regelmäßig kommt es zu gezielten Vertreibungen ganzer Dörfer und vereinzelt zu Verhaftung oder sogar Ermordung politischer Gegner. Was hier in Europa so gut wie nicht bekannt ist, ist an den Grenzen Myanmars trauriger Alltag. Eine Frage, die sich dabei auftut ist, wie die Flucht die Betroffenen verändert. So haben die Flucht und die damit verbundenen Strapazen einen erheblichen Einfluss auf die Psyche der Menschen. Um diese Belastungen besser verstehen zu können, haben wir mit Diplompsychologin Anne Dutz gesprochen, die selbst unbegleitete Flüchtlinge aus Südostasien betreut hat. Interview: Können Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre Arbeit geben? Was genau sind Ihre Aufgabenbereiche? Es kristallisiert sich immer mal wieder raus, aber man muss sehr sehr flexibel sein, weil immer unterschiedliche Aufgaben auf einen zukommen. Und was jetzt viel der Fall ist, ist das ich für Krisen zuständig bin, also wenn in der Erstaufnahme Konflikte entstehen. Das ich da quasi, ja, versuch diese Konflikte dann auch mit den Jugendlichen gemeinsam zu lösen. Wie wirken sich die Flucht und die damit verbundenen Erlebnisse auf die Jugendlichen im Einzelnen aus? Das ist ganz unterschiedlich. Also es ist eigentlich wie bei den Jugendlichen, die hier in Deutschland aufgewachsen sind auch. Das ist so vielfältig und das ist mir immer wichtig, das sich das so pauschal gar nicht sagen lässt. Es gibt Jugendliche die wirklich ganz, ganz großartige Ressourcen mitbringen, die auch mit den Fluchterfahrungen so, ja, so mich beeindruckt und berührt das auch immer, die damit so gut umgehen können und die hier auch sehr, sehr schnell die deutsche Sprache lernen, die sich super integrieren. Also wie gesagt ich bin halt immer ganz baff wie schnell man eine Sprache lernen kann und sich hier auch integriert, gerade was jetzt auch so das Wertesystem betrifft. Die sind dann oft, also da gibt es Jugendliche, die sind sehr neugierig, die fragen viel nach. Und dann gibt‘s eben auch Jugendliche, die natürlich damit kämpfen, was die eben auf der Flucht erlebt haben. Wie sieht denn die Betreuung genau aus? Also es gibt immer so ein Anamnesegespräch, wenn die Jugendlichen quasi einziehen bei uns im Haus. Da ist auch wichtig, nicht so ins Detail zu gehen, weil man schon auch merkt manche jugendlichen sind dann eben sehr belastet durch diese Erfahrungen. Und dass man immer gut guckt, was kann derjenige zu dem Zeitpunkt und eben auch unter den Umständen gut erzählen. Aber auch da, manche Jugendlichen erzählen da sehr offen, darüber was eben auf der Flucht erlebt wurde eben auch an Gewalterfahrungen und eben auch grade dieses Ausgesetztsein. Wie genau sehen denn die Belastungen während der Flucht für die Betroffenen aus? Was mir auffällt, es wird ja häufig über Schlepper diese Flucht organisiert und die Jugendlichen kommen ja oftmals, finanziell, nicht immer aber, zum Teil, auch aus finanziell sehr schwierigen Verhältnissen. Sodass die die Flucht antreten, ohne das irgendwie finanzielle ja Ressourcen im Hintergrund existieren. Das heißt die Schlepper, die machen oder führen diese Flucht dann durch und erpressen an irgendeinem Ort dieser Flucht dann Geld von wiederum der Familie zuhause. Jetzt ist es aber so, dass die Familien zuhause dann keine, eben kein Geld haben und dafür auch ganz arge Schwierigkeiten haben etwas zu zahlen und da wiederum wird dann oft so erpresst, das den Jugendlichen dann auch Gewalt angetan wird und ich glaub diese Gewalterfahrungen oder auch diese Zwangsmaßnahmen durch Zwangsarbeit, das wird von den Jugendlichen schon zum Teil sehr, sehr ja traumatisch berichtet. Was sind die Gründe für die Flucht? Auch da es variiert auch sehr, nicht sehr, aber schon in einem bestimmten Bereich, was viele Jugendlichen berichten ist eben die Angst davor im eigenen Land entweder verfolgt zu werden oder eben auch militärisch eingezogen zu werden. Und da im Krieg dann tätig sein zu müssen. Oder eben auch ja, Terrorakte spielen auch eine Rolle. Viele Jugendliche haben sehr viel Tod und sehr viel ja Gewalt schon gesehen und wünschen sich eben sehr eine Perspektive zu haben. Es sind auch sehr viele Jugendliche, dabei die wirklich wünschen ich möcht mir ne Zukunft aufbauen können, ich möchte arbeiten können, ich möchte mich integrieren in einem Land in dem das möglich ist, wo ich eine Schule machen kann, eine Ausbildung, also wo auch wirklich Hoffnungen bestehen, ja eine andere Perspektive zu haben als im Ursprungsland. Die meisten südostasiatischen Staaten wie Thailand und Malaysia erkennen die Flüchtlinge nicht einmal als solche an und versuchen sie unter dem Vorwand der illegalen Einwanderung wieder in die Herkunftsländer abzuschieben – ungeachtet der dortigen Situation. NGOs setzen sich für eine Verbesserung der Situation ein. Diese haben allerdings erhebliche Schwierigkeiten bei der Durchführung ihrer Arbeit. Zum größten Teil durch Behinderung seitens der lokalen Behörden. Restriktive Gesetze und Aktionen in Flüchtlingscamps entlang der Grenzen von Myanmar durch Polizei und Militär destabilisieren die Lage vor Ort. Sich weiter über die Situation der Vertriebenen zu informieren, gestaltet sich jedoch schwierig. Sich medial an die Öffentlichkeit zu wenden, um für das Thema zu sensibilisieren, ist nicht nur für die Geflüchteten selbst schwierig. Auch für NGO Mitarbeiter ist dies mit hohen Risiken verbunden, denn sie haben Angst des Landes verwiesen zu werden. Über den E-Mail Kontakt zu einem Unternehmer der in Myanmar tätig ist und anonym bleiben möchte, haben wir diesbezüglich folgende Informationen erhalten: „Ja es gehört Vertrauen dazu über diese Sachen zu sprechen. Vor allem um keine Probleme zu bekommen – von welcher Seite auch immer. Vor allem der Staat und Extremisten stellen hier eine Gefahr da. Aber auch die eigenen NGOs versuchen die Mitarbeiter davon abzuhalten, um sich selbst vor Restriktionen zu schützen. Dadurch ist es nicht einfach an Kontakte zu kommen. Das gleiche gilt für Flüchtlinge, die aus Camps geflüchtet sind und sich dadurch illegal im Land aufhalten. Dazu kommt bei manchen geflüchteten Bevölkerungsgruppen, wie den Rohingyas, dass sie kaum eine Sprache sprechen für die man einen Übersetzer findet. Auf der anderen Seite gibt es die Flüchtlinge aus Myanmar die von Thailand zurück in ihr Heimatland kommen. Da Thailand dazu übergegangen ist nicht nur Geflüchtete, sondern auch Betriebe die diese beschäftigen zu bestrafen, ist ein regelrechter Exodus zurück nach Myanmar losgebrochen. Doch auch diese sind nur schwer ausfindig zu machen.“ Diesen Bericht können wir aus eigener Erfahrung bei unseren Recherchen bestätigen. Ein bekannter Kontakt in Thailand, der selbst geflüchtet und in einem Hostel beschäftigt war, ist spurlos verschwunden. Die Betreiber des Hostels wollten sich auf unsere Nachfrage hin nicht näher dazu äußern und verneinten jeglichen Kontakt zu dem langjährigen Mitarbeiter. Wie also könnte eine mögliche Entwicklung für die Zukunft aussehen? Myanmar selbst befindet sich seit 2011 in der Übergangsphase in eine Demokratie. Allerdings hat das Militär immer noch einen erheblichen Einfluss auf die Politik und geht mit Gewalt gegen die nicht buddhistischen Minderheiten, wie den muslimischen Rohingyas, vor. Um den Demokratisierungsprozess nicht zu gefährden, billigt die Regierungschefin Aung San Suu Kyi diese Menschenrechtsverletzungen. Es ist also zu befürchten, dass sich in absehbarer Zeit nichts in dieser Hinsicht erreichen lässt. Mehr internationale Aufmerksamkeit könnte etwas an diesem Zustand verändern. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Staatengemeinschaft genug Druck aufbauen kann, um eine Besserung für diese schwierige Situation zu erwirken.
Upload Datum: 18.07.2017

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