Dauer: Minuten
Audio-Nr: #2860
Inhalt: Ein ehemaliger Wehrmachtssoldat erinnert sich, wie er Zeuge von Greueltaten der Wehrmacht wurde und an der Belagerung Leningrads teilnahm.
Skript: Für die Anmoderation: Hitlers Soldaten waren Täter und Opfer zugleich. Nach dem Krieg saßen sie in den Kneipen und leckten ihre Wunden. Traumatisiert, meschugge, manche rechtsradikal. Niemand wollte ihre Frontberichte hören. Jetzt sind sie fast alle verstorben. Heinrich Germer aus Bremen ist 94 Jahre alt, hat aber klare Bilder im Kopf. Vor 74 Jahren überschritt er mit der deutschen Wehrmacht die Grenze zur Sowjetunion. Die Musik ist von Mauricio Kagel: Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen, Marsch Nr. 1 Heinrich Germer: Abends haben die uns zusammengeholt: Heute Nacht um drei marschieren wir über die Grenze nach Litauen rein. Und da war eine Brücke, die mussten wir sichern, und die ganze Nacht sind die Panzer über die Brücke gerollt. Musik Die ersten Tage wie wir in Lettland waren, da kam plötzlich ein Zivilist der sagte, da in der Scheune, da liegt ein Russe. Der Feldwebel der ist dann mit mir da rein, und da lag so ein Soldat, ein russischer Soldat, der lag da und schlief. Und da nahm der Feldwebel seine Maschinenpistole, und schoss den jungen Mann in den Kopf. Das war so am dritten oder vierten Tag. Das habe ich mein ganzes Leben nicht vergessen. Dieses Bild, der junge Mann da, wie das Blut ihm übers Gesicht lief, das habe ich nicht vergessen. Dieser Feldwebel hat im Zivilberuf orthopädische Schuhe hergestellt, der kam aus der Lüneburger Heide, Fallingbostel irgendwo. Jedenfalls da kam nichts nach, der hat sogar noch mal eine Beförderung gekriegt, also. Musik Und dann waren wir kurz vor Leningrad, und da war Schluss. Da mussten wir dann Schützengräben ausheben, wir haben Bunker gebaut. Die wollten Leningrad ja aushungern. Wir haben ja gewusst, dass Leningrad eingeschlossen und ausgehungert werden sollte. Das ist uns gesagt worden, das haben wir gehört. Ja. Musik Einmal, da mussten wir an einer Erschießung teilnehmen. Da hatten Partisanen, die hatten in einem Dorf zwei deutsche Posten erschossen. Dann haben sie da zwölf Leute rausgesucht, die mussten sich in einer Linie aufstellen Wir mussten dahin und als abschreckendes Beispiel das angucken. Und dann haben sie die erschossen. Das habe ich selber gesehen. Die Frauen jammerten und schrien, und dann hieß es: legt an – gebt Feuer, und dann knallte das und dann sackten die zusammen. Das habe ich gesehen. Musik Sie meinen, dass man da Gewissensbisse gehabt hat oder was? Das kam ja erst bei der Kapitulation. Dass wir fünf Jahre in einer Armee gedient haben, deren Führung solche Verbrechen begangen hat. Da kamen Schuldgefühle auf. Bei mir. Da habe ich Depressionen bekommen. Da war ich so 40 Jahre ungefähr. Außenstehende können das sowieso nicht begreifen. Was willst du denn, nimm dich mal zusammen! Meine Mutter, die sagte das sogar: Ist doch allen in Ordnung. Und trotzdem hat man das. Man sagt ja auch: Jede Depression ist heilbar heute. Aber wenn man sie hat, ist es fürchterlich. Sie wollen einfach nicht mehr leben.#2099 / O-Ton / mit Geodaten / Weisfeld
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