Dauer: 5:00 Minuten
Audio-Nr: #3652
Inhalt: Irmgard Keun: Ein Star der Literaturszene in den 30er Jahren. Heute ist sie nur wenigen ein Begriff. Wer pflegt die Erinnerung an sie? Und wer findet sie noch heute unerhört? Ich besuche einen Deutschkurs des Abendgymnasiums Hannovers, treffe die Historikerin Irene Franken und begegne der Schauspielerin Sonja Kargel, die für Stadtführungen in die Rolle Irmgard Keuns schlüpft. Konzept und Umsetzung: Mirjam Baumert Sprecherin des Zitats: Hilke Rusch
Skript: Sie ist ein bisschen zu weit gegangen. Das sind keine Werte. Das ist ein Werteverfall. Mit so einer Frau wollten auch viele nichts zu tun haben. Sie hat sich ihr ganzes Leben einen Teufel drum geschert, was andere Leute sagen. Franken: Irmgard Keun, die hat mich schon lange fasziniert. Meine Mutter hatte nämlich das Buch, das Mädchen mit dem die Kinder nicht spielen durften. Und der Titel hat mich unglaublich gereizt, ich fand's dann zwar langweilig, aber immerhin. Sie war bei mir im Gedächtnis #00:30:35-5# Klingebiel: Aber jetzt denke ich ist eine gute Gelegenheit konkret zu werden und hier das Kunstseidene Mädchen daraufhin zu untersuchen, auf welcher Seite sie das einordnen würden. Zitatorin: Ein Mann aus der Großindustrie hatte mich eingeladen, in dem er im Schauspielhaus Freikarten holte, beim Portier für morgen. Denn wer Geld hat, hat Beziehungen und braucht nicht zu zahlen. Man kann furchtbar billig leben, wenn man reich ist. Und sprach mit mir und lud mich ein, weil er mich als fertige Künstlerin ansah. Ich will eine werden. Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, dass nach Parfüm riecht und alles wie Paris. Schüler_innen: Aber Nico, findest Du sie wirklich schwach? Eine schwache Persönlichkeit? - Also es kommt zu nichts. Es ist irgendwie ohnmächtig. Es liegt brach, es ist Schwäche, weil der rote Faden ihr fehlt. Sie weiß nicht genau, wohin das Leben gehen soll, eigentlich. - Weiß man das mit 18? - Erstens das, zweitens finde ich, weiß sie eigentlich ganz genau, was sie wollte. Sie wollte da raus und wollte irgendwie ein Glanz werden. - Ja, gut das ist ja nur ein Traum. Das ist ja nicht die Wirklichkeit. Zitatorin: Und die Leute achten mich hoch, weil ich ein Glanz bin und werden es dann wunderbar finden, wenn ich nicht weiß, was ein Kapazität ist und nicht runterlachen auf mich, wie heute. Schülerin: Sie ist ein bisschen zu weit gegangen. Speziell mit der Sexualität mit den Männern, aber ja, doch ich könnte verstehen, dass sie wirklich aus den wirtschaftlichen Gründen, die sie hatte aus der Armut wollte, auch von zu hause weg, sich ein gutes Leben für sich selbst gewünscht hat und dementsprechend denke ich, es ist nachvollziehbar, bis zu einem gewissen Grad. Schüler: Das sind keine Werte, das ist ein Wertverfall. Franken: Mein Name ist Irene Franken, ich habe den Kölner Frauengeschichtsverein gegründet, mit anderen Frauen zusammen. Der Kölner Ratstrum war im zweiten Weltkrieg sehr stark zerstört, dann hat in den 80er Jahren, die damalige Stadtkonservatorin, Frau Kier beschlossen, dass auch der ursprüngliche Figurenschmuck wieder an den Turm soll. Und deswegen setzte sich dann wieder ein Gremium zusammen und hat mal schwer beratschlagt, wer da alles die Ehre haben soll, auf dem Turm zu stehen. Und siehe da, es waren 118 Männer und 5 Frauen. Immerhin konnte dann die Anzahl auf 18 erhöt werden. Also in dem Gremium, was das dann entschieden hat, ist Irmgard Keun durchgegangen. Da war kein Vorbehalt gegen die Schriftstellerin, aber es hat mich dann eine ältere Dame angerufen, die war schon in den 30er Jahren in der Frauenbewegung aktiv, in der bürgerlichen Frauenberwegung. Und sie kannte Irmgard Keun als eine Frau, die schon mal am Kiosk einen Klaren sich hinter die Binde kippt, sozusagen. Und sie fand es unerträglich zu denken, dass eine Alkoholikerin, die Irmgard Keun war, auf diesem Turm geehrt wurde. Kargel: Guten Tag, mein Name ist, mein Name ist Sonja Kargel, mein Name ist Irmgard Keun. Ich bin Schauspielerin und ich begrüße Sie recht herzlich zu unserer heutigen Führung. Wir sind hier am Originalort der Kölner Bücherverbrennung. Und hier wurden unter anderem auch meine Bücher verbrannt, als Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz. Kargel zitiert aus Dokument: An das Landgericht Berlin: Ich melde hierdurch folgenden Schadensersatzanspruch an. Die geheime Staatspolizei hat im Juli 1933 die gesamten Bestände meiner beiden Bücher "Gilgi, eine von uns" und das "Kunstseidene Mädchen in den Räumen der Universitas Deutsche Verlagsakziengesellschaft, Berlin, Passauerstr. 3 beschlagnahmt und an sich genommen. Franken: Sie ist dann wieder in der Versenkung verschwunden, weil es sie so angeekelt hat, zu denken, dass sie jetzt Nazis belustigt. Und dann ist sie in den 50er Jahren nochmal mit Büchern hervorgetreten, aber dann letztlich danach auch vergessen worden. Und das mag zum Teil daran liegen, dass sie eine Frau war, aber es liegt in diesem Fall noch stärker daran, dass sie so unbequem war und das sie Sachen ausgesprochen hat, die niemand hören wollte.Website: http://mirjambaumert.net
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