Linearität und Filterblasen

Moritz Klenk

Linearität hilft nicht gegen Filterblasen

von Moritz Klenk  

In Zyklen wird an Orten der Reflexion des Radios 'auf Höhe der Zeit' (#dfdu) auf Bertolt Brechts schon zitierte Forderung zum Radio von 1932 verwiesen. "Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln" (Brecht 1967, 129). Liebes Radio, vergiss das bis ins Extrem professionalisierte Sendungsbewusstsein: organisiere die Hörerinnen! Für Brecht geht es dabei, das muss sogleich hinzugefügt werden, nicht darum, dass nun alle zu kleinen Radiosendern gemacht werden. Es geht, wenn man es so streng nimmt, also nicht einmal um das, was das Podcasten für das professionelle Radio bedeutet, nämlich eine dramatische Ausweitung der im weitesten Sinne Radioschaffenden, eine Demokratisierung der Sendeplätze. Nein, es ist weit radikaler zu denken: Das Radio wäre Brecht zufolge dann ein grossartiger Kommunikationsapparat, "wenn er es verstünde, den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen" (ebd.). Es geht nicht (nur) um das Senden, sondern um Sprechen im engeren Sinne; es geht - so lese ich es hier zumindest bewusst eng - um Kommunikation im Medium gesprochener Sprache, im Medium des Sprechens und Hörens.

Seit fast einem Jahrhundert harrt der Vorschlag seiner Umsetzung. Der Grund hierfür ist vielleicht ein einfacher: Gespräche führen kann das Radio zwar schon -- aber nicht besser, als jede*r Andere. Was das Radio nicht kann, ist Sachen einfach machen. In beiden Hinsichten: einfach machen, wie einfach machen. Das Radio reflektiert sich in gewisser Weise in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft.

Wolfram Wessels schreibt im Radioblog:
"Indem der Rezipient aus seiner Konsumenten-Rolle heraus tritt und selbst zum Produzent wird – und sei es seines eigene Programms -, rezipiert er oft nur noch das, was er selbst in die Welt gesetzt hat und von dort als Echo zurückkommt. Er landet in seiner eigenen Filterblase, in der Kommunikation zur Selbstbestätigung degeneriert. Lineares Radio funktioniert grundsätzlich anders. Überlegungen zum Programm und seiner Dramaturgie stehen im Zentrum: Was sende ich wann auf welcher Welle." (Wolfram Wessels)


Die Einschätzung mag man - betrachtet man die Vielzahl der Produkte jener neuen Produzenten - in gewisser Weise teilen. Und doch ist das Bild hier seltsam verzerrt. In zwei Hinsichten müsste eine solche zu jeder Professionalisierung gehörende Selbstbeschreibung und -verständnis infrage gestellt werden. Stefan Schulz fragte neulich ketzerisch auf der #Subscribe10, der 10. deutschsprachigen Podcast-Konferenz, zu Gast bei den professionellen Freunden vom Deutschlandfunk: "auf wieviel Programmdirektor im Kopf kann man eigentlich verzichten?" Ob nun eine smarte Suchfunktion, Plattformen, Algorithmen, oder heterogene Freundeskreise und soziale Beziehungen diese Programmierung der alten Männer (Direktoren) ersetzen, oder was immer, kann hier zunächst offen bleiben. Ständig entstehen heute neue Listen, Ordnungen und was man eine Praxis der Kuration nennen kann. Wir alle sind Kuratorinnen unserer eigenen Programme und bringen es bisweilen zu begeisternder Abwechslung. Ein Umgang mit Medien auf Höhe der Zeit lässt sich nicht mit den Begriffen einer simplen Konsumlogik beschreiben, die strikt Produzentinnen und Konsumenten zu sortieren sucht. Vielleicht zeigt es sich gerade bei der bunten Vielfalt der Medienaneignungsformen von Kindern und Jugendlichen, wie lebendig experimentiert werden kann und vor allem wird. Das Schreckgespenst monotoner Echokammern, wenn auf Programmdirektion verzichtet wird, ist ein Argument von und für Programmdirektoren grosser Medienhäuser. Die argumentative Notlage der Rechtfertigung von Managementpositionen ist dabei so alt wie die Idee der Notwendigkeit des Management selbst. Das überzeugt heute noch Jordan Peterson. Ok. Das ist jetzt polemisch. Sei's drum.

Warum im Nachdenken über Radio und Gesellschaft überhaupt mit einer solchen Produktlogik beginnen? Das kann doch nur Professionelle überzeugen, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Dagegen ist gar nichts einzuwenden, im Gegenteil.

Doch: jeden Tag aufs neue beweist uns unser Leben das Gegenteil der These der Filterblase. Es ist doch nicht wirklich so, dass wir ständig und ausschliesslich in allem bestätigt würden, unsere Meinung sich von Kindesbeinen an beständig festigt, wir nie ins Zweifeln geraten, nie mit anderen Ansichten konfrontiert würden, usw. Im Gegenteil! Ich spreche praktisch täglich mit Menschen - online wie offline -, deren Ansichten mich überraschen, deren Einsichten mich faszinieren, von denen ich lernen kann, oder deren Überzeugungen mich herausfordern. Inwiefern soll - so betrachtet - gerade das lineare Radio die Rettung aus der Filterblase sein? Mal von dem Umstand abgesehen, dass Filterblasen ein exklusives Symptom des Professionalitätsjournalismus' sind (sowohl ihre üblichen Diagnostiker als auch ihre Patienten sind Journalisten): in all unseren kommunikativen Zusammenhängen des Alltags begegnen wir ständig auch irritierenden, neuen, unbekannten Ideen oder Gedanken; von totaler Selbstbestätigung oder monotonen Echokammern kann keine Rede sein. Wie einfach stellt man sich denn die Lebenswelt der Menschen vor?

Die entscheidende Frage scheint mir eher eine der Praxis zu sein:wie gehen wir mit fremden, andersartigen, neuen Ideen um? In der Linearität selbst liegt noch keine Antwort. Abstraktion verhindert hier konkrete Antworten. Auch Zirkel zeichnen Linien. Linearität begründet keine Hoffnung auf Fortschritt, nur weil die Zeit im laufenden Sendungsprogramm stetig fortschreitet.    

s. auch Moritz Klenk: Dialogwissen

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